Pflegerische Poesie
Singularität bezieht sich nicht
auf etwas bloß Unwiederholbares
oder Unvergleichbares
welches sich im Akt oder Geschehen
des Vergleichens oder Wiederholens
wiederum entziehen würde.
Es manifestiert sich weder als
subjektzentrierter Caring-Ratio
noch als kommunikative Pflege-Vernunft.
Vielmehr beendet das pflegerische Subjekt
die Such nach universelle Geltung
mit zwanghaft herbeigeführte
Übereinstimmung an
vordiktierte Standards.
Die Poesie der Pflege ist Folge
einer Poetologie des Wissens (Vogl)
und erhält ihr liebens- und
lebenswerte Charakter indem sie
ein radikales Plädoyer (Advocacy)
für das individuelle Leben wach hält.
Reflective Practitioner sind in der Lage,
hinter der Wand des institutionellen
“Wir-Bewußtseins” immer wieder aufs Neue
poetische Momenten zu entdecken.
Des Seyns-Gesicht
Denn das Wesen des
pflegerischen Subjekts ist
“des Seyns Gedicht” (Heidegger):
Imagination.
Durch professionelles Imaginieren
vermag Caring immer wieder aufs Neue,
vitales Leben anhand Bilderwelten
in der Lebenswelt des Pflegealltags
zu erwecken: Imagination ist das
wichtigste Instrument des Guten
bzw. gute Pflegekunst.
In der situativen Praxis erfahren die
Dienstleistungsteilnehmer die Einmaligkeit
ihrer gemeinsame Handlungssituation
mit der Einzigkeit ihrer Bedürfnisse,
Ansprüche und Ziele in einem
gemeinsamen “Pluriversum”.
Eine solche Einzigartigkeit entspricht
einer responsiven “Singularität im Plural.”
Die Pluralisierung der Anderen
im Anspruchsfeld des Qualitätsereignis
realisiert sich zunächst als Mitgegenwart,
dann aber auch als kontextuelle,
dramatische Verwicklung
und als ein- und ausschließender
Verkettungszusammenhang.
Poetische Pflege-Satiren
Nach Persius in sein "Satiren"
[Heyden - 1738] gingen die Satiren hervor
aus bacchantische Singspiele; spontan,
aus dem "Stehgreif" ähnlich ein
Comedia dell'arte und gefasst als
"Dramatik"- abgeleitet von (gr.
Handeln bzw. Darstellen.
Pointierte intrasituative Auftritt bringt
den (lat.) Bacchant bzw (gr.) Dionysos
auf der [Arbeits-] Bühne
und präfiguriert die pflegerische Komödie.
Mit den Verweis auf das dramatische
des ecco hommo lugt Nietzsche
um die Ecke, der den Dionysos
mehrfach huldigte:
“... wehe der verhängnisvollen Neubegier,
die durch eine Spalte einmal
aus dem Bewußtseinszimmer heraus
und hinab zu sehen vermöchte
und die jetzt ahnte,
daß auf dem Erbarmungslosen,
dem Gierigen, dem Unersättlichen,
dem Mörderischen der Mensch
ruht in der Gleichgültigkeit seines Nichtwissens
und gleichsam auf dem Rücken eines Tigers
in Träumen hängend.“
Psychologie des "um-die-Ecke-sehns"
Nietzsche machte es sich zur Aufgabe
dem Tiger in uns einmal so richtig
auf den Zahn zu fühlen und mit seiner
„Psychologie des`Um-die-Ecke-sehns´“
eine Sprache zu schaffen –
„Wir sind Alle nicht das, als was wir
nach den Zuständen erscheinen,
für die wir allein Bewußtsein und Worte –
und folglich Lob und Tadel – haben“
Nietzsches Leben war ein Denken,
ein Schicksal, das sich in der Tragödie
entschied - im Zeichen des Dionysos:
Und ich wüßte nicht, was der Geist
eines [Pflege-] Philosophen mehr
zu sein wünschte, als ein guter Tänzer.
Der Tanz - die Ritornell - nähmlich ist
sein Ideal, auch seine [Pflege-] Kunst,
zuletzt auch seine einzige Frömmigkeit,
Pflegerische Komödie
Aufgeführte Pflege-Komödien auf der
Arbeitsbühne adaptiert mit Fug an
Pointierte und präfigurierte
Pflegekunst, bei der das
dramatische Gespür für
Poesie und Prosa der
Dichter und Denker abgeht,
verdient es nicht mit ihren Jobsiade Geld zu verdienen.
Pflege-Sound
Perlenketten glänzender Pflegepoesie
in einer prosaische Welt knüpfen
gelingt umso besser,
je mehr professionelle Pflegepräsenz
in der Pflegesituation zurücktritt und
selbst zu eine Fensterscheibe wird,
um transzendente, einsichtige und
durchsichtige Pflegeprozesse
zu ermöglichen.
Pflege ohne Poesie und übersteuerter
faktologischer Pflegeprosa führt
zu Lohnpflegegleichgültigkeit (Schroeter).
Pflege ohne Lyrik kommt stummer daher
wie ein Lied ohne Worten (Mendelsohn)
es wäre ein Alltags-Leben ohne Sound und
ebenso öde wie taktlos.
Pflegesound nach Fechner bedeutet
"In der Tat,
das dass, was von dem Menschen während seines Lebens
den Lebenden sichtbar und spürbar ausgeht,
nicht das einzige ist, was von ihm ausgeht.
So klein und fein eine Erzitterung oder Schwingung sei,
von der eine bewußte Regung in unserem Haupte getragen wird,
das ganze Spiel bewußter Regungen
aber wird von einem inneren Spiele unseres Hauptes getragen,
sie kann nicht anders erlöschen,
als daß sie Fortwirkungen ihrer Art in uns und
endlich über uns hinaus erzeugt; wir können sie
nur nicht ins Äußere hinein verfolgen.
So wenig die Laute ihr Spiel für sich behalten kann,
es wird über sie hinausgetragen,
so wenig unser Haupt; nur das Nächste davon gehört
der Laute und dem Haupte.
Welch unsagbar verwickelt Spiel von Wellen hoher Ordnung,
die in dem Spiele unserer Häupter den Ursprung haben,
mag über dem groben niederen Spiel,
was unserem Aug und Ohr draußen vernehmlich ist,
sich verbreiten, vergleichbar feinsten Kräuselungen
über den großen Wellen eines Teiches,
oder Zeichnungen ohne Dicke über der Fläche
eines dickmaschigen Teppichs,
der von ihnen die ganze Schönheit und höhere Bedeutung hat.
Der Pfleger als Physiker aber erkennt und verfolgt
nur das Spiel der Wellen niederer Ordnung draußen
und kümmert sich nicht um das feinere,
was er nicht erkennt.
— Ob er es nicht erkennt,
doch kennt er das Prinzip,
darf er die Folge leugnen?"
Es gibt genug Leistungsträger
mit rosarote Brillengläser im Dress
hilfloser Helfer uniformiert
oder Mitarbeiter
mit tiefschwarz gefärbter Depri-Optik,
die im Blickfeld nur noch Horrorszenarien
mit eindeutige Pflegix-Konturen
in aller Klarheit wahrnehmen aufgrund
u.A. permanent unterlaufene
PPUGV- Bestimmungen.
Unsichtbare Klangwelten
Transparenter Einsatz
von Mensch und Maschine
ist das Nonplusultra
in Sachen Caring.
Schon 1991 von Marc Weiser beschrieben
in seinem Aufsatz »The Computer
for the Twenty First Century«:
»Die beste Technologie [incl. AAL]
ist förmlich unsichtbar.
Sie webt sich im Netzwerk des Alltags
so sehr ein bis sie nicht mehr
als Fremdkörper wahrgenommen wird.«
Unsichtbare Technik, die sich
in pragmatisch strukturierter
Quartierpflege behutsam einnäht:
Noch ist hier ein weites Feld:
“Ganz generell verfolgen
große Hersteller immer noch einen
»Technology-push«-Ansatz,
der die Anforderungen der Nutzer
zu wenig oder zu spät berücksichtigt.
Auch die Evaluierung der
Alltagstauglichkeit von AAL-Produkten
und -Diensten finden momentan
nur punktuell statt” (Haines et al. 2007).
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