Micrologie / Mikrologik
An die Stelle von obsolet gewordene,
gelöschte Linearität und Kontinuität –
Kategorien, welche angesichts einer
postmodernen condition humaine
bedeutungslos werden,
werden alte Zuschreibungen
überschrieben, wie ein
Magnetspur auf eine Diskette.
Die "Erkundung der
Conditio humaine"
wird von Auftrittsmenschen
im Care-Sektor gerne und
galant nach Montaignes
[radikale] Reflexionen
und Maximen in Re:formatorische
Bekenner-Perspektive erfasst
und entsprechend das
Deutungsschema von Charles Taylor ("Quellen des Selbst" Ffm. 2018, S. 319 ff)
gedeutet und realisiert.
Kreisende Bewegungen
treten auf, die sich dadurch
auszeichnen, dass Inskriptionen
den eigentlichen Kern
immer wieder aufschieben
und schließlich ganz aussparen
weil alltägliche Pflege- und
Lebensverläufe geprägt sind
von Unvollständigkeit,
Fragmentarisches,
Sprunghaftes und Prothetisches.
Die kleinsten innerweltlichen
und intrasituative Züge
erhalten absolute Relevanz
im Pflegeverlauf.
Denn mit mikrologische Blick
zertrümmert wirksamer,
realerPflegepräsenz
in Caringprozessen
die Schalen des
vermeintlich
hilflos Vereinzelten. “Wir stellen fest, dass die <Micro>- Dimension kein besonderes Privileg genießt. Es kommt aufs Prinzip der Variation selbst an, nicht auf die Entscheidung für einen bestimmten Maßstab” (Jacques Revel in: ‘Microanalyse et construction du social’ ein Beitrag aus der Zeitschrift Jeux d’échelles (Zitiert in: Paul Ricoeur, “Gedächtnis, Geschichte, Vergessen,” München, 2004, S. 322)
Transposition
Stets stellt sich die
topoloische Frage (wo)
das pflegerisch Subjekt
sich selber sieht.
Eingewickelt mit feingesponnene
Fäden innerhalb ein selbstgestricktes
Kokon ist verwandelnde
Transposition programmatisch
erreichbar in dem Maße,
wie es gelingt diese Hülle aus
verworrene und verquerte
Strukturen aufzubrechen und
seines gelingt das Pflegekonzept
einer Daseinsversorgung als
“prothetische” zu zertrümmern.
Gehegte und gepflegte Beihilfe
auf sinnfreie Handlungsbahnen lassen
kostspielige Unterstützung effektlos
versanden, indem man der Sache
nach zwar hilft (funktionale Abhilfe),
aber den Menschen
damit nicht gedient wird.
Anpassung an maladaptiven
Gestelltheit als mundgerechte
Dienstleistungsangebot,
die das pflegerisches Subjekt
als 08/15 Paket nur noch
schlucken muss,
ist der Tod im Topf bei
zukunftsgestaltender
Pflegepräsenz.
Palimpsest
Transpositionen realisieren,
strategische Veränderung in
siegreich in Bewegung zu bringen
hat einen Haken
und einer Öse.
Der Haken ist methodisches Zaudern
als Strategie; Auftritt im
Modus Fabianus Maximus -
ohne Aktions-Allergien.
Joseph Vogl spricht von eine "Artistik des Auswegs"
wenn, beispielsweise, Pflegeprobleme nicht "aus der Welt geschaffen werden"
sondern Sachzwänge schlicht umgangen werden
mit behuf kongruente Auswegsstrategien oder
angemessene und angepasste Bewältigungsstrategien.
Die Öse (oder Nadelohr) ist das pflegerische Ereignisfeld.
Der Feld-Begriff ist dabei irritierend.
Denn das aufwärtsstrebende,
himmelweltsführende
pflegepflichtige Handlungsfeld
besteht aus micrologische Labyrinthen
und Hemm-Schwellen; der Weg im
Pflege-Paradies trägt Dantes
Signatur: bunt, bebildert aber
selten oder nie einfach.
die zu bewältigt werden wollen
um mit gelingender Pflege
schwierige Lebensstrecken
nach Bunyans progressiver
Lebensart erfolgreich zu Überwinden.
Denn mikrologischer Auftritt mit
idiosynkrastische, (“eigentümlicher) Prägung
ist sich dessen immer bewusst, dass,
methodisch gesehen,
“jeder Wissensgegenstand ein
Palimpsest ist (Vogl).”
Michel Certeau meint genau dieses,
wenn er in sein 'Kunst des Handelns' auf S. 101
spricht von "der Fiktion der leeren Seite"
(wir schreiben immer über etwas Geschriebenes);
es gibt keinen Bereich in unser Leben, kein einziger Sozialraum mehr die nicht von Text
und Kontextualtität umfangen wäre;
das Smartphone ist in den ärmsten Hütten Afrikas genauso präsent wie in den unzähligen Räumen der
kryptischen und kaptitalistischen Wolkenkratzer,
die den Skyline von bankenmetropole Ffm ausmachen.
Gerade weil das moderne Pflegebett in
postmoderne, digitaler Textualtität eingebettet ist,
kann überhaupt health-literacy Thema
werden und auftrumpfe mit das Internet of Things .
Eine micrologische, idiosynkratische
Pflegetheorie hat immer
“ein paganes Wissen im Blick,
wenn <pagan>,
herkommend von lat. pagus,
[sich auf einen lokalen,
abgegrenzten Bezirk beziehend]
und keineswegs globalisierend
'Heidentum' oder, feiner etikettiert,
agnostische Aufklärung umschreibt.
Pflege-Palimpsest Palimpseste sind überkritzelte alte Texte.
Auf wertvolle Pergament
"für die Ewigkeit geschrieben".
Altes aus der Antike abgekratzt
um sie zu überschreiben mit neue, "wichtige" Texte. Das Verfahren nennt sich Palimpsest. Wir kennen ähnliches auch von alte Disketten, aus Floppylaufwerke. Stand ein Speichermedium nicht mehr zur Verfügung,
wurden kurzerhand alte Dateien
gelöscht und neu überschrieben. Ohne Abkratzen - weil Daten
auf magnetisierten Spuren
digital eingespeichert lagen, die ebenfalls digital gelöscht werden können. Was beide Systeme mit Pflege verbindet ist folgendes: die überschriebene Textur hat das Zeug, wesentlicher und wichtiger zu sein als der nachherig "aufgepropfter" Datensalat. Eifrige Mönche packten auf antike Meisterstücke bedeutungslos gewordene "Heiligen-Legenden"
und fromme Geschichten. Da Papier und Pergament fehlten erfolgte probate Behelf bei (aus heutiger Sicht) Belanglosem. Genau auf diese Pointe verweist
Pflege-Palimpsest: in der Lebenswelt
der Pflegebedürftigen wurde viel zu oft,
vor der Fall als Pflegefall an selbstgeschmückte "Heiligenlegende" gestrickt. Gespickt mit aufgehübschte Selfies und aufgemotzte feel-good-lifestyl; alles brutal zu Makulatur vergoren
und unbrauchbar im Fall einer Pflegefall.
Was Übrig bleibt: die Spuren der [Selbst- + Fremd-] Erziehung, die elementare Bahnen, auf deren Schienen das Leben begehbar und lebenswert machten. Das was immer schon zählte.
Tragfähige Lebenswege ohne
permanente überkandidelte Zuckerguß
gilt es als Palimpsest wieder zu erschließen. Um sinnstiftende und zweckgerichtete Muster einer Alltagsbewältigung zu eröffnen: das macht Pflege aus:
auf alte, krumme Lebensbahnen
richtig und geradeaus
Pflege neu zu gestalten.
Ohne abkratzen des Belanglosen
gewinnt Pflege kein Belang,
erhält keine Bedeutung, und
bleibt Pflege nur dick aufgetragene
starr standardisierte Maskerade;
Kosmetik statt Unterstützung.
Gut, das aus den dicken Pelz unsere aufgemotzte Heiligenlegenden,
sich Spuren unverfälschte anwendbare Lebensstrukturen erneut wieder herauslesen lassen um originäre Lebensqualität zu erzielen. Gestaltet mit moderne, plausible und Evidenz basierter Pflegepaxis.
Dies impliziert die Bereitschaft,
es mit der Komplexität des Wirklichen
sehr ernst zu nehmen.
Zum Methodenideal wird ein Werk,
„das an jedem seiner Knotenpunkte“ (Vogl),
bevor es sich dann tatsächlich festlegt,
die Mannigfaltigkeit aller Möglichkeiten
zu zeigen in der Lage wäre,
wie man es hätte fortsetzen können.
Vogls „Über das Zaudern“ (sehr lesenswert)
zitiert in diesem Sinne Paul Valéry,
macht aber auch Robert Musil mit dessen Stichwort
der „phantastischen Genauigkeit“
zum Gewährsmann eines Positivismus,
der den Bestand der Realitäten
schlicht dadurch hinterfragt,
dass er sie im Horizont eines
Wirklichseins des Auch-Möglichen
so brutal wie möglich durchvariiert – was dann
hineinführt in eine „Universalgeschichte der Kontingenz“.
Deren Werkzeugkoffer mag Poesie und Philosophie
wie auch Archivforschung verbinden.
Jedenfalls werden wirklichkeits- und
machttheoretische Abstraktionen riskiert,
während zugleich doch das Konkrete maßgeblich bleibt.
Pflegephilosophie, pragmatisch als Inskriptionen
in palimpsestartig strukturierte Pflegeprozesse
könnte in Anlehnung an Günther Anders
beiläufig auch „Gelegenheitsphilosophie“ genannt werden.
Ein „Philosophieren, das, und zwar
aus philosophischen Gründen,
von singularen empirischen Tatsachen“ ausgehend „sich gewissermaßen im Senkrechtstart in den Himmel“ erhebt;
hier, in diesem Kontext einer Health-Literacy
möglicherweise mehr als nur "wahlverwandt."
Denn „Gelegenheit“ meint nicht etwa
flüchtig Unwichtiges. Vielmehr geht es
um das Anstoßhafte dessen,
was das ausmacht,
das wir „kritisch“ nennen (und finden).
"Gelegenheitsphilosophie" will nicht irgendwo ansetzen,
sondern an „empirisch“ genannten Bruchpunkten,
an das pfdegerische Ereignis - an die "Gelegenheiten."
Am pflegerischen Durchgangspunkt (OODA-Loop)
an denen sich die Unselbstverständlichkeit des
faktisch Gegebenen im pflegerischen Ereignisfed zeigt
und in durchaus fundamental realitätsskeptischer
Weise evidenz basierte, praktische Pflegeforschung fordert.
Wobei Pflegephilosophie sich verweigert alle Vorerklärungen,
denen Metaphysisches anhaftet,
ebenso wie eine neutralisierende
(etwa naturwissenschaftliche, sozialstatistische
oder psychologische) Expertise oder den
politischen Sachzwang.
Sei dieser ein staatliches Oktroy oder
ein „weiches“ Regime, das auf Anreizen
und Mehrwertversprechen aufsetzt.
Abschließend sei auf Reckwitz (Das hybride Subjekt) vewiesen.
Er rekonstruiert Subjektformen für die Moderne,
für die er drei
sich ablösende
hegemoniale Subjektmodelle unterscheidet:
- Das »moralisch-souveräne Subjekt« der bürgerlichen Moderne,
- das »nach-bürgerliche Angestelltensubjekt« der organisierten Moderne
- und das »konsumtorische Kreativsubjekt« der Postmoderne.
Er hebt dabei auf den umkämpften Charakter,
die Hybridität und die Diskontinuität dieser Formationen ab:
Subjektkulturen werden sichtbar gemacht als
»ein Palimpsest von kulturellen Versatzstücken der Subjektivität« (S. 15)
und von der »selektiven Verarbeitung des Früheren im Späteren« (S. 88).
Dies ermöglicht nach Reckwitz immer wieder
die Bildung von Gegenbewegungen,
»die die inneren Widersprüche der hegemonialen Kultur
aufgreifen, deren Universalitätsanspruch herausfordern
und damit letztlich eine
subjektgeschichtliche Dynamik in Gang halten«
Mängelwesen
Caring sprengt beim
pflegerischen Subjekt
den liebgewonnene
Schein-Identität,
zermalmt den Trug,
“Es” - also das,
was ihm ereignishaft
obligat passierte,
wäre bloß Exemplarisch.
Sein Selbstgefühl stimuliert,
einer unter vielen zu sein,
der zur Daseinsbewältigung
mit einer prothetische Versorgung
ausreichend bedient wäre.
Empathie-Apparatur
Es würde genügen sich
als pflegerischen Subjekt zu postulieren,
indem er sich als behandlungspflichtig
(devoir de situation) versteht und
sich als Mängelwesen (Gehlen)
auf der Pflegemarkt präsentiert.
Anzusiedeln als Teilhaber einer
"topisch gemeinsamen Raum"
(Charles Taylor, "Das säkularisiertes Zeitalter" 2009, S. 323)
die eine Besonderheit aufweist:
Sie ist ein diskursives Raumgebilde;
so existent wie der öffentlicher Raum.
Ihre einzelne Mitglieder sind miteinander
aufs engste Verbunden, "interessengeleitet,"
stehen miteinander in Austausch, z.B. durch
ein Akteuerskollektiv, oder via Whats-App etc,
beeinflussen sich gegenseitig und sind doch
gleichwohl, objektiv betrachtet, Teil einer
Masse, deren Stimme vielfach nur dann zählt,
wenn sie sich re:voluntär erhebt,
und ihr Anliegen Gehör verschafft (Advocacy).
Als Pflege-Publikum mit Gestaltungsmacht.
Die Gesundheitsindustrie ist Deutschlands
größte Arbeitgeber - ohne Direktor und
Aufsichtsrat bzw. stimmberechtigte
Mitgliedsvesammlungen ihre Aktionäre.
(Aktionäre i.S. der von Akteure, deren
Handlungen sich rubrizieren
als Uno-Actio-Leistungen.
Eine AG, bzw. Gesellschaft mit beschränkte Haftung
bei der jeder einzelne Beteiligte
an und für sich nie persönlich auf dem
Pflegeparkett bzw. Pflegemarkt
in Erscheinung treten; das pflegerische
Subjekt figuriert und existiert im
Wesentlichen als Sozialfigur der Postmoderne.
Ihre, auf Konsens getrimmte Diskursstruktur
als Grundkonstitution eines pragmatisch austariertes Handlungsrahmens die ein richtige [Pflege-] Praxis
anvisiert, wurde von Jürgen Habermas passend
ausgearbeitet und dargestellt in sein
Büchlein "Strukturwandel der Öffentlichkeit."
Das etablieren des pflegerischen Subjekts
ist dann auch eine demokratisierende
soziale, realfaktische Figuration ein
"Metatopische" Situation. Definiert als
den Interaktkionsraum eines
gesellschaftlichen, an wirksame SV-Kriterien
gebundenes Subsystems neben der Politik,
die sich selbst Geltung und Gehör verschafft.
Das plegerische Ereignisfeld beschreiben
als Metatopik [so wie "Kirche" + "Staat"
wie auch "TV" und "Internet"]
harmoniert bestens mit die Forderung
des Robert Bosch NEU-START Vorschlag
vom 28. Mai 2021:
Dezentralisierte PORT-Zentren entwickeln,
in Anlehnung an § 124 SGBV mit
Primärversorgung via "Community Health Nurses."
Der Term: CHN entspricht das authentische
Modell Quartierpflegekraft als Pflegepräsenz:
"Quartierpflegekräfte, die direkt
in die Leistungserbringung einbezogen werden
müssen, nicht nur in Form der Delegation.
Außerdem sollen sie in Teilen der
primärmedizinischen Versorgung
selbstständig Heilkunde ausüben dürfen.
Darüber hinaus braucht es verstärkte
Anstrengungen zur Sicherung des multiprofessionellen Fachkräftenachwuchses,
einen Ausbau der digitalen Vernetzung
und eine konsequente Orientierung
an den Bedarfen der Menschen vor Ort
in der Versorgungsplanung.
Kurz: Es braucht einen Neustart
für die Primärversorgung.
Mit das pflegerische Subjekt als Sozialfigur
und i.V.m. § 124 SGB V als normativer Ansatz,
erhebt das pflegerische Subjekt ein Anspruch
im Rahmen seiner Ohnmacht (als Bedarfspflichtiger)
Verbesserungen "für sich" einzufordern.
Ohnmacht
Das pflegerische Subjekt konstituiert sich
aufgrund seiner Bedarfe und seiner Passibilität
auf ein “Sich-Selbst-Erleiden” (M. Henry),
das an sich - ohne pflegesensible Attribute
ebenfalls eine Ohnmacht unterliegt:
Denn “Im Leiden kündigt sich die Ohnmacht des
Gefühls als mit seinem Wesen identisch an.
Weil sie sich im Leiden ankündigt und uns hilft,
es zu denken, hat die Ohnmacht des Gefühls
nichts damit zu tun, was man üblicherweise als
>ein Gefühl von Ohnmacht< versteht. …
Die für sein Selbst-Sein konstitutive Ohnmacht des Ich,
sich von sich zu lösen, hat jedoch ihren Grund
in der ursprünglichen Ohnmacht des Leidens. …
In ihr, ihr ursprünglichen Passivität in Bezug
auf sich vereinnahmt das Gefühl seinen Inhalt,
empfindet ihn, empfindet sich selbst,
macht die Selbsterfahrung, freut sich an sich selbst,
die als solche für sein Sein konstitutiv ist,
in dieses, setzt sich in es in der Tatsächlichkeit.
In der Ohnmacht des Leidens tritt die Macht des Gefühls zutage.
Die Macht des Gefühls ist sein Herausspringen,
sein Durch-sich-selbst-begriffen-Sein,
der Verbund mit dem, was es ist, die absolute Einheit,
in der es mit sich zusammenhält,
und in diesem Zusammenhalt,
in diesem Verbund, in der absoluten Identität
des durch sich erfassten Seins mit sich,
in seinem Selbst-Sein und das, wodurch es konstituiert wird,
ist das Glühen seines Seins [Seinsinneseins - Jaspers],
des Sein, das sich selbst empfindet, und sich bei diesem Akt,
sich zu empfinden, erleuchtet,
auftaucht, die Offenbahrung.
Die Macht des Gefühls [Auto-Affektion] ist
das Gefühl selbst, das Gefühl als solches in seinem Wesen,
als Sich-selbst-Fühlen
[Selbstangehend: auto-socialitation],
wie es sich in seiner tatsächlichen Möglichkeit vollzieht,
als Leiden. Die Macht des Gefühls setzt sich in seiner Ohnmacht
nicht wie eine Bestimmung einer anderen entgegen,
sondern ist mit ihr identisch und liegt in ihr."
Im Einklang mit diese Beschreibung ist festzuhalten, das
“Jede Wirkung (Aktion) [pflegerisches Handelns]
ein erdulden darstellt. Nicht durch etwas anderes,
durch das Ding etwa, [durch die Krankheit]
auf das sie sich ausübt, durch das Subjekt,
von dem sei ausgeübt wird [Angehörige, Arzt, Pflegekraft],
sondern durch sich selbst.
Oder vielmehr bedeutet dies,
das Subjekt der [pflegesensible] Handlung (Aktion) zu sein,
die Handlung selbst zu sein,
insofern sie sich selbst originär in ihrer
ontologischen Passivität in Bezug auf sich erduldet.
Ein [pflegerisches] Subjekt zu sein heißt <zu erdulden>,
heißt <zu sein>. Das Sein des [pflegerischen] Subjekts
ist die Subjektivität.
Die für das [nicht nur pflegesensible] Sein
konstitutive und mit ihm identische Subjektivität
ist das Mit-sich-Sein, das Gelangen des Seins in sich selbst,
weil es sich in der ursprünglichen Passivität des Seins vollzieht.
Das Wesen der [pflegerelevante] Subjektivität ist die Affektivität. ...
Was still in sich gelangt und sich
in der Allmacht des Selbst-Seins versammelt
und sich in der Ohnmacht des sich
durch seine ursprüngliche Passivität in Bezug
auf sich ausgelieferten Seins angehört,
was in der Allmacht dieser Ohnmacht empfindet,
was es ist, und sich in der Milde
[De Clementia - Seneca - Johannes Calvin]
seines eigenen Kommens zu sich selbst fühlt,
was in sich im inneren Zittern seiner
eigener Offenbarung gegenüber sich selbst
zittert, ist das Leben.
Was das Leben in seiner letzten Möglichkeit
und in seinem Konkret-Sein ist,
wird deutlich. Alles Leben ist wesenhaft
affektiv, die Affektivität ist
das Wesen des Lebens.”
(Michel Henry; “Das Wesen
des In-Erscheinung-Tretens” Freiburg, 2019,
§ 53, “Die Affektivität als originäre
ontologische Passivität” Seiten 556 ff.
Insofern weiß das "ohnmächtige" pflegerische Subjekt
um sein legitimes, selbstverkörpertes
Normsetzungsbefugnis und
Gestaltungsmacht als proaktiver Prosument.
Er muss nicht als passiver Konsument
die ihm aufoktroyierte Pflege-Pillen
schlucken die ihm mundgerecht
präsentiert werden.
Metaphysisch eingeflößt mit ein
pfäffisches "für die Gesundheit" als
sakramentales Ziel beim Pflege-Ritual.
Riten der pflegerelevante Lebenskrisen
sind "Riten, in der sich das Ritualsubjekt
seiner fest verankerten plazentare Lage
im Geborgenen [Schoß seiner Mutter]
auf den Tod und den letzten,
durch seinen Grabstein fixierten Punkt
zubewegt ... markiert und
akzentuiert durch diverse
kritische Übergangsmomenten."
(Lloyd Warner, The Linving and the Dead
A Study of the Symbolic Life of Americans, New Haven S. 303)
Dass das pflegerische Ereignisfeld
ebenso von Luthers Wort geprägt ist:
"Die Seligkeit ist Bedingung jeder guter Handlung
und erforderlich für jede gute Handlung"
gilt für den, der um seine Ohnmacht,
in Gnadensachen weiß ebenso, wie für den, die
bei Pflegesachen 100 % Bescheid weiß,
dass die Ohnmacht des Menschen vor Gott
in gewissem Grade bloß
derselbe ist, wie die Ohnmacht der Handlung
in Bezug auf die Affektivität. (M. Henry, ebenda, S. 766)
wie es als diesseitiges Aktionsfeld
bestimmt wird von angepasster und kongruenter Biopolitik.
Für das pflegerische Subjekt bietet ein
ins unbestimmte Jenseits
des "an sich" verlegte Möglichkeit einer
extern geregelte Gouvermentalität (Foucault)
keine wirklich realen Chancen, seinen
eigenen Weg zu bahnen.
Selbstbestimmt, mit "Die Mut zur Wahrheit"
seine eigene Pflegebedarf direkt
und unverblümt in Pflegedingen
zur Sprache zu bringen (parrhesia)
ist das Vor-Recht des pflegerischen Subjekts
das er auch ausübt ("Subjektives
Normsetzungsbefugnis").
Eine klare Sache. Im Gegensatz zur
vertragsgemäßer Unterwerfung
unter den Herrschaft von Direktionsrecht
und Gewalt bei weisungsgemäß angeordnete
Daseinsversorgung.
Leistungsträger liefern immer nur
Surrogate als Resultate.
Weil die in Anspruch genommene
Service-Produkte nur das Ergebnis
rationale, standardisierte
gesellschaftlichen Organisation darstellen.
Pflege-Leistungen für Kunden als Subjekt.
Klienten und Kunden werden (nomen est omen)
stets nur definiert aus Sicht des Geschäfts,
die bedient und Service serviert.
Dienstleistung las Versorgungsauftrag
Immer erstrangig im Rahmen eines demokratischen
Rechtsstaats mit SGB-normierter
Versorgungsanspruch wahrgenommen.
Service die funktionsfähige
Gebrechlichkeitskompensationskompetenz
in Aussicht stellt - aber in den meisten Fällen
nur fabrizierte Lohnpflegegleichgültigkeit
ihre Akteure präsentiert - und vor allem:
das pflegerische Subjekt als
Einkäufer der Ware "Gesundheit"
ins Hintertreffen abdrängt.
Das ist auch nur denklogisch: wer die
Kasse hat, der bestimmt: verfügt
das pflegerische Subjekt über kein
eigenständiges persönliches Budget
ist er 100 % abhängig von dem ihm
zugeteteilte Pflege-Sachleistungen;
angebotene Angebote kann der
Kunde ablehnen aber ohne Geld
in seine Börse hat er gar keine
Wahl Bedarf bei andere Anbieter
oder andere Angebote einzukaufen.
Sein Schicksal: aus Subjekt wird Objekt
Er verliert sein Status als Mitspieler [Player]
an dem Pflege Schachfeld; er figuriert als
Spielfigur auf dem Spielfeld der Pflegeindustrie,
dem man u.U. übel mitspielt, wenn er
als Bauernopfer [Payer] statt Kunde =König
behandelt und wahrgenommen wird
Patentmöbel und Mikroraum
"In Hütten wohnet der Mensch, und hüllet/ sich ein ins verschämte Gewand." (Friedrich Hölderlin: "Im Walde"; wohnte bis zu seinem Tod von 1807 - 1843 in Tübingen in ein Turmzimmer zur Pflege als „unheilbar“ und mit der Aussicht
auf nur wenige weitere Lebensjahre aus der Klink entlassen.
Versorgt in den Haushalt Ernst Zimmers, eines Tübinger Tischlers.
Hier bewohnte er als Mitglied des Haushalts und
mit familiär-fürsorglicher Unterstützung,
eine Turmstube oberhalb des Neckars (Hölderlinturm).
Das pflegerische Subjekt aus seiner Rückenlage emporrackern zu lassen
ist nach Villem Flusser jene Aufgabe,
die der [Pfege-] Kultur benötigt indem
persönliche Pflegepräsenz beim
Mobilisieren eine Krücke unterschiebt
(oder selbst "am Krückstock" geht)
und ihre Dienstleistung am Krankenbett (seit dem 18. Jahrhundert zunehmend
als gestylte "Bettmaschinen" definiert);
als Service am "Empathie-Apparatur" ins Werk setzt.
Bindung
Die Schablone des gewöhnlichen
pflegerische Subjekt zeichnet
ihm als einer, der,
wenn es kritisch wird,
nur Lessings Schuhe
anzuziehen braucht,
um sich aufzumachen,
auf der Suche nach (s-) eine
Erziehung des Menschengeschlechts
(Homo education) - oder
mikrologisch gedacht und gesagt:
auf der Suche nach passender Situations-Pädagogik.
Am liebsten so wie seinerzeit.
Geschickt im Kindergarten und
dann in Schulen geschult.
So hat er sein Leben gemeistert.
Jetzt macht er nur eine
Institutionswechsel geltend,
um anhand prothetische Versorgung
sich Abhilfe verschaffen zu lassen.
Oder sich bedienen zu lassen.
Bettmaschine
bzw. Bettmaschine (1789)
"Das [Kranken-] Bett entwickelt
sich zu ein <intensiver Mikroraum>,
der für die Herantretenden,
ob Angehörige, Arzt oder Pflegekraft,
das „Schauspiel der Subjektivierung"
des Pflegebedürftigen erlebbar macht."
(Harrasser, Karin: „Schlafen und Sprechen am Krankenbett.
Patientwerden als teilsouveräne Artikulation“, in:
Bruchhausen, Walter und Celine Kaiser (Hrsg.):
Szenen des Erstkontakts zwischen Arzt und
Patient,
Medizin und Kulturwissenschaft 7,
Göttingen: V&R unipress 2012, S. 233–240, hier S. 234.
Dabei wird das pflegerische Subjekt
zu Grotesken fähig:
externe Pflege (Pflegix)
soll das tun und leisten,
was selber weit besser machbar.
Das negative prothetische
Versorgung bis ins Absurde abgleiten
kann, sei nur als Fußnote erwähnt;
überbetütteltes Umsorgen
führt fast zwangsläufig zur
selbstverursachter Immobiliät
durch Inanspruchnahme
überflüssige, externe
"Entlastung,"Service,
Unterstützung und
Hypurgie bzw.
Hypurgo-Dynamik.
Unter Hypurgie wird
die Summe alle gestaltende und
wirksame Faktoren verstanden, die
zur Heilung erforderlich sind.
Mithin Faktoren der Umsorge
in weitestem Sinne.
Faktoren, die Behandlungsstrukturen
einer heilungsfördernden
Umgebung kreieren.
Faktoren die energisch
selbstständiger Auftritt betonen,
und Pflegepräsenz "readymade"
als primäre, formende Kraft im
Gesamtkonzeptes gewertet
wird zu Gunsten des selbstbestimmte
pflegerisches Subjekt.
Bicepteur
Als Symbolanalytiker ist hier
von der Bicepteur zu reden.
Mit einem Begriff des französischen
Psychoanalytiker Jacques Lacan –
die den Raum zwischen zwei Menschen,
den Raum des Begehrens umfassen.
In diese Lücke, die weder
dem Einen noch dem Anderen (zu)gehört,
bildet sich den ausgeschlossenen
Schnittpunkt zwischen den Beiden.
Dort ist im pflegerischen Skript
Mikrologik angesiedelt.
In dieser Entzweiung
derselben Sache
ist lediglich
die Perspektive
ausschlaggebend.
Pflege Palimpsest
Zwischen dem Wechsel
von Perspektiven liegt
eine kleine Lücke,
eine, wenn man so will,
juristische Sekunde mit {0},
die den Übergang von
Denkverhältnissen regelt und
Pflegeszenarien navigiert.
Und diese einfache,
doch sehr bedeutsame Lücke
zwischen zwei Perspektiven
ist das Eigentliche, das
Reale at bedside.
Das Reale im Anderen
liegt hinter dem eigentlichen
Vordergründigen und um
es zu erreichen, muss Caring
sich wappnen und
das Zerstörerische greifen.
Pflegewirklichkeit
Die intersubjekive Leerraum zwischen
zwei auf einander bezogene Individuen
(Mutter/Kind, Liebespaar ...) lässt
sich wahrnehmen und ist aufweisbar
in Gestalt einer Brisur, eines Schaniers.
Diese Zwischenraum einfühlsam,
und empathisch auszufüllen ist ein
großartiges Pflege-Geschäft - allerdings
kein massentaugliches Unterfangen;
Unspektakuläre Caring steht außer
Konkurenz zu fesselnde Ereignisfeldre
wie 'Wacken' und Bundesliga.
Das pflegerische Grammatologie
einfach sein soll und spannend dazu, ist
dann auch kein Verifikationsmerkmal:
„Die Brisur markiert,
dass es für ein Zeichen,
für die Einheit eins Signifikaten
und eines Signifikats
unmöglich ist, in der Fülle
einer Gegenwart und einer
absoluten Präsenz
zu entstehen.“
(Derrida)
Mikropolitischer Pflegepräsenz trötet
nicht im Horn der Makropolitik
sondern betreibt Biopolitik
nach die Maxime:
Tu was Du kannst;
da wo Du bist;
mit dem,
was Du hast.
Transfiguration
Pflegepräsenz ist
micrologische Pflegekunst;
archaische Gabe [Mauss]einer Serviceleistung.
- Gabe und Aufgabe in einem. Vertrauenvolles verbindliches
austausch von Einsatz und Leistung
im Handlungsfeld der Health-Literacy.
Pflegepräsenz gibt mithin bei gegebener Gesundheitskompetenz
ein zinsloser Sozialkredit
und nimmt dabei selbst ein
schwer belastete Hypothek auf,
indem es Adorno Satz
für eigene Zwecken borgt:
"Die Wirklichkeit der
{Pflege-} Kunstwerke
zeugt für die Möglichkeit
des Möglichen."
“Du hast keine Chance
also nutze sie:”
Spontispruch und mikrologischer
Slogan bei determinierende
Attraktoren wie bspw. Demenz.
Ein romantischer Dichter
[Henry Constable - 1562 - 1613]
erhält das Schlusswort:
"In meinem ganzen Leben
habe ich nichts Häßliches
gesehen, also nichts,
was {Pflege-} Kunst
nicht hätte transfigurieren können"
(C. Taylor, "Quellen des Selbst" 2018, Ffm, S. 749)
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