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Samstag, 17. Oktober 2020

Rezension: Michael Andrick, "Erfolgsleere"

 



Sehr geehrter Herr Andrick


Ihr Come-Out als "Humanist" - geschmeidig im Abgesang  Ihres Buch "Erfolgsleere" eingebettet - umzirkelte jene Lebenshaltung die in Richtung des Foucaultsche Parrhesia hindeutete. Nicht ganz meine Kragenweite - es sei denn Sie deuten damit Humanismus i.S. meines Landsmann Desiderius Erasmus an, der mit sein Bildungsverständnis u.A. die Übersetzung der Bibel im Griechischen schuf. Er machte als der seinerzeit bekanntester Humanist Luther als Reformator erst möglich  - z.B. mit sein kontroverse Disput über den freien Willen. Unsterblich auch sein "Lob der Torheit" 

Ich las Ihr Buch mit viel Gewinn; so mancher Aspekt Ihre Ausführungen erlebte ich als Krankenpfleger mit Haut und Haaren. Ich positionierte mich nur deshalb sich als freiberufliche Pflegefachkraft, weil eine gewisse Redlichkeit im Betrieb ungern gesehen wurde und mir seinerzeit zwischen 2000 - 2007 in Serie 5 Kündigungen bescherten - der (ganz A.O. Hirschmann) nach Phasen bedingunsloser Loyalität, kritischer Widerspruch eine risikobewehrte Abwanderung in der (ICH-AG) Selbständigkeit nahelegte, trotz 'totsichere' Betriebsratstatus, 'Unkündbarkeit' bei 25 Jhr. Betriebsjubiläum und 7 unterhaltspfl. Kinder. 

Ich war 1998 Gründungsmitglied der Fachgruppe Diakonie im Verband Kirchlicher Mitarbeiter (innerkirchliche "Gewerkschaft"). Das fand wenig Rückhalt - bei Vorgesetzten (die eine Dienstgemeinschaft auf Augenhöhe nur im Präambel propagieren) und - leider - auch bei meine Mitarbeiter-Innen im Ev. Altenheim; prinzipielle Gespräche und Vorstellungen über real existierender und praktische Dienstgemeinschaft at bedsite verliefen und versumpften sehr schnell im Sande.

Warum ich gemieden bleib mir stets ein Rätsel. Aufgrund meiner NL-Migrationshintergrund?  Aufgrund einfacher Herkunft als Bauernsohn? Aufgrund "bildungsferner" Volkschulabschluss? Aufgrund der status eines Underdogs weil nur einer 'erfolgreichen' Schlosserlehre im Handgepäck?

Ihre Hinweise mit Nietzsches Attitüde: je bildungshungriger weil nachdenklicher, je angefeindeter. Umstritten? Um so  besser - des Lebens Kampf wird niemals enden (Hesse). Sie öffneten mir meine Augen eine Spaltweite mehr. 

Auch darüber, warum es so ungemein schwierig ist, in mein Berufssektor eine Paradigmenwechsel herbei zu führen. 
Weg von Weisungsabhängige Funktionalität (unter der viele Kollegen leiden - die meisten sich aber arrangieren bis hin zur innere Kündigung) und hin zur frei entfaltbarer selbständiger Auftritt aufgrund subjektive Normsetzungsbefugnis zur Selbst-Ermächtigkeitsprozesse im Bereich Caring (Pflege & Betreuung).

Das aufgrund der "kostenlose" Sozialvericherungsstrukturen, die der Versicherte abrufen kann und im Umkehrschluss: nur solche Pflegekräfte / -Dienste in Anspruch nehmen darf, die von den Pflegekassen (Leistungsträger) zugelassen sind (zu aufoktroyierte Bedingungen, die Pflegeanbieter [Leistungsanbieter] als lebendige Marionetten lediglich schmale Handlungskorridoren gönnen) erschwert ein Paradigmenwechsel zusätzlich. Diese SV-Aspekt hat mit Nachdenklichkeit zwar nichts am Hut, aber als gut durchdachte, administrativ beherrscht und automatisierte Lenkbarkeit  instrumentalisiert es Konformismus und Funktionalität aufs schärfste - ohne dass der gut gepflegte Fisch das Wasser als Medium wahrnimmt, die ihm trägt und nährt: kein Seilchen bindet, kein Kettchen schnürt, kein enges Kistchen sperrt - alles ist frei (bleibend) und knechtet doch. 

Ein Paradox fand ich noch bemerkenswert: Ihre Geringschätzung der Marketing einerseits und Ihre Hochachtung für Thomas S. Kuhns kurviges Leitbild in Veränderungsprozesse: es käme darauf an, werbend eine Perspektivwechsel herbei zu führen, die Entscheidungsprozesse geschickt umlenkt zu sinnvollere, günstigere, bessere Zukunftswege. 

Ohne gezielter Werbung werden selten sinnvoll neue Bedürfnisse geweckt. Ein Fax braucht niemand, bis alle eins haben. Das Medium ist oft die Botschaft: Luthers 95 Thesen benötigen ein Kirchtür. In Peking bedurfte es Wandzeitungen. 

Jetzt wiederum ist ein Fax zumeist so überflüssig wie ein Kropf. Werbung beeinflusst Konsumverhalten nachhaltig indem es vielfach auch neue  wertvolle Perspektiven aufzeichnet. Denn, was der Bauer nicht kennt, dass frisst er nicht. Ohne Mercedes gäbe es kein Benz ... Kurzum, Werbung (z.B. für selbständiger Pflegepräsenz) halte ich für unerlässlich - wenn auch gerne zustimme: zuallermeist ist Marketing maßlos übertrieben nicht nur bei Seifen, Lipsticks, Soft- und Energydrinks ... Marketing als Maschine zur Steigerung von Konsumterror ist Mega-Überflüssig. 

Seit 2007 bin ich als nunmehr 66 jährige Veteran noch im Geschäft und dabei geschäftig nachzudenken, wie souverän aufgestellte Pflege sich als Auftrittsmenschen in einer Gig-Economy am besten positioniert.

Dabei hat Ihr Büchlein wertvolle Anregungen geliefert.

Verstehen Sie mein Schriftsatz als Bringschuld
 
Bleiben Sie Gesund und Munter!

Marten Wiersma

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