Team med-ipflege

Team med-ipflege
Gut aufgehoben

Montag, 5. Oktober 2020

Mein Brief an Frank Domeyer, Chef der Diakonie, zur Destituierende Kraft im Pflegebereich


 

Mit destituierender Kraft neue Wege gehen


Sehr geehrter Herr Domeyer


Nach ca. 20 Jahren sah ich Sie, Chef der Diakonie Oberhausen, zum ersten mal in die Markuskirche wieder. Zuletzt, 2001 erlebte ich Ihr Auftritt auf mein Arbeitsplatz eher versteckt und verdeckt - damals unter dem Motto: wo die Liebe dünn, werden die Fehler dick (siehe oben) .

Mit starker Hand führten Sie mit starker Hand, zusammen mit Hr. Holz als Führer der Geschäfte die Geschicke der soeben von der Diakonie vereinnahmte Seniorenheim.

Gekonnt mischten Sie die Spielkarten in diverse Spielarten auf. Gesprochen haben wir uns nie. Wir haben uns nur angeschwiegen - Anhörungsrechte oder Anhörungspflichten waren verpönt. Das beredte Schweigen blieb unsere Begegnungen treu - auch beim Festgottesdienst zur Ehren der Diakonie am 27. Sept. 2020. Ein stummes Nicken war und blieb das Höchste der Gefühle.

Offene Kommunikation war auch nicht erforderlich. Für gute Pokerspieler genügen schummriges Licht und stumme Griffe im verdeckten Blatt. Es reicht, die besseren Karten im richtigen Moment auszuspielen. Ja, beim Pflegepoker wird selten geredet - auch wenn kommunikative Handlungen der tragende Basis bei gelingende Pflege darstellen sollte.

Allenfalls wird üblicherweise übereinander und selten miteinander geredet. Ein gestörtes Spiel durch Gesten und Worten ist ein verlorenes Spiel. Wo kämen wir dahin - wenn wir wüssten was wir gemeinsam denken und planen bevor wir Ostrazismen organisieren und realisieren?

Performanzen einleiteten, die jene Wirklichkeiten schaffen die sich selber modellieren gehört zu den Spezialitäten im Bannkreis von Kirche und Diakonie. Sie schaffen Realitäten, die ihre eigene Spielregel auf der diakonische Arbeitsbühne entwickeln. Bisher wurden dadurch jedoch, trotz moderner Arbeitsverdichtung und kostensenkende Rationalisierungen nur eine ortsübergreifende Service-Insolvenz anschoben, die weder von Ihnen (Pflexit), noch von mir erahnt wurden. 

Mein Konzept (Pflegepräsenz zu Gunsten des pflegerischen Subjekt) ist seit jeher etwas anders gepolt und [hier] verlinkt.

Weil wir nie miteinander reden und bis Sankt Nimmerlein uns wohl auch aus dem Wege gehen (es sei denn, sie steigen erneut und überraschenderweise auf den Kanzel um das Hohelied der Liebe zu rezitieren) in Textform gebracht.

Es ist im Nachhinein eine seltsame Überschneidung, wenn der Predigt zum Festgottesdienst der Diakonie (1.Mose 2) in gleicher Kerbe einschlug wie das zeitgleich gelesene Buch von Giorgio Agamben (Der Gebrauch der Körper” Ffm. 2020). 

Giorgio Agamben pointiert mit seinen Theorie einer destituirende Kraft die Stellung des modernen Menschen auf besondere weise. In sein unlängst erschienenes 8 Band seiner umfassende Reihe “Homo Sacer” postuliert er in sein Epilog auf S. 437 ff.  eine Daseins-Setzung,” jenseits Philosophie und Politik.” Als Gedanke  “jenseits aller Figuren der Beziehung, selbst jenseits jener Grenzbeziehung, die durch der souveräne Bann gegeben ist”

Damit ist erstrangig nicht eine einseitig erklärte gestaltungsrechtliche Gegebenheit einer Exklusion durch eine Kündigung gemeint, deren Kennmerk einer ordnungsgemäß reglementierte Sanktion entspricht und gut und gerne auch zum pragmatische Bestandteil der diakonische Governance Anwendung findet.

Es ist vielmehr der moderne Mensch, der in seiner nackte Gestalt - quasi im Adamskostüm - geschaffen, im Garten Eden gesetzt und dann daraus verbannt wurde. Präfigurierte echte Druckkündigung, wenn Sie so wollen, bei der Adam den Azazel (Sündenbock) und erst bei Augustinus (völlig zurecht - siehe Confessiones bzw. Civitas Dei I-XXII) umgedeutet zu ein felix culpa!

Agamben führt aus: Es besteht eine Schwierigkeit, eine reine destituirende, d.h. aus der souveränen Beziehung des Banns, die sie an die konstituierende Gewalt bindet, entlassene Kraft zu denken. Der Bann erscheint hier als Grenz-Form der Beziehung, in der Setzung dadurch begründet wird, dass es in Beziehung zu einem Beziehungslosen steht. 

Agamben sieht - ganz meine Perspektive - jenseits des Bannkreis von hierarchisch strenge Kaskaden weisungsgebunden reglementierte Biopolitik mit <Achtung!> Parolen und desavouierende Achtsamkeiten eine selbstkonstituirende Auftrittsmöglichkeit, die das Signatur einer diakonische Auftrag zur Daseinsversorgung trägt. 

Unbescholten und unbedarft steht Adam im Garten Eden; so wie der Mensch der Moderne allenfalls noch das Foedere Opera der Schöpfungsgeschichte für sich in Anspruch nehmen kann und sollte. Gerne i.V.m. einer an Kuyper entlehnte Definition einer gratia communis - nach dem Verweis aus dem Paradies, weil ihm alle sonstige Dogmata abhanden kamen. 



Präziser gesagt: Es ist Signatur des Christen in Kirche und Diakonie, der das zauberhafte Nimmerland und Eldorado des Garten Edens unwiederbringlich hinter sich gebracht weiß.

Jetzt ist es seine Aufgabe auf hermeneutischem Wege, dialektisch i.S. Karl Barth sich selber zu erschließen als aufgegebenes Handwerk des Lebens. Da hilft kein Katechismus, wenn es gilt, im Bannkreis der Diakonie und Kirche das Prinzip Verantwortung christozentrisch und praxisnah zu verstehen, auszudeuten und mit destituierende Kraft in Wort und Tat anzuwenden. 

Sie nahmen auf der Kanzel den richtigen Text zur Hand. 

Wie ist jedoch Ihr Text 1. Kor. 13 optimal anwenden? Sicher nicht durch permanente Performance von Ostrazismen, wie seit 20 Jahren in Oberhausen Standardisiert. Ich meine durch persönlich realisierte Auftrittsmerkmale, die sich effektiv und persönlich verkörpert mit destituierende Kraft mittels professionelle Züge durch effiziente, konviviale, evidenzbasierte Praktiken.

Andererseits verwirklicht sich 1 Kor. 13 durch schlichter Zuwendung in Wort und Tat im Bereich der Diakonie mittels unkompliziert erbrachter Versorgungsbedarf im Zuge quartiernaher Caring bzw. verwirklichte Teilhabe. Umgesetzt in Form schlichtes Anwenden kongruente Betreuungsmaßnahmen sowie sinnvolle umgesetzte Pflegetechniken in Verantwortung für Gott und den Nächsten. 

Diakonie als Auftrag der christliche Gemeinde aufzufassen, “jenseits aller Figuren der Beziehung, selbst jenseits jener Grenzbeziehung, die durch der souveräne Bann gegeben ist”  gestaltet sich nur dann wirkmächtige Möglichkeit “wenn sie als eine rein destituierende Kraft gedacht wird, die sich nicht in eine konstitutionierte Gewalt auflöst.” Mithin mit Strukturen und Methoden des Bottom Up statt Top-Down.

Agamben verweist auf Walter Benjamin, dessen Text er ausführlich zitiert - wohlwissend, dass diese Textpassage direkt in Verbindung steht mit der Aufruf zur Streik - mithin in dem sicheren Wissen, dass destituierende Kraft eine gouvernementale, biopolitische Form der Handlungsmacht darstellt, die sich Geltung verschafft. 

Es käme n. Walter Benjamin wesentlich darauf an, die geheime Solidarität rechtssetzender und rechtserhaltender Gewalt sich dialektisch zu entziehen. “Auf der Durchbrechung dieses Umlaufs im Banne der mythischen Rechtsformen, auf der Entsetzung des Rechts samt den Gewalten, auf die es angewiesen ist wie sie auf jenes, zuletzt also der Staatsgewalt, begründet sich ein neues geschichtliches Zeitalter.

… Sie ist als reines Mittel gewaltlos, obwohl sie nicht eine äußerliche Modifikation der Arbeitsbedingungen veranlaßt, sondern getrieben ist von dem Entschluss eine von Grund auf veränderte Rechtsform herzustellen und Geltung zu verschaffen.” 

“Changemanagement” in der Diakonie? Das kann gelingen, wenn es als eine  destitutiver Gewalt auftritt. Als eine Biopolitik, die, indem sie das Recht ein für alle Mal aufhebt, dadurch unmittelbar eine neue Wirklichkeit  inauguriert - schlussfolgert Agamben zutreffend.

Mit mein beiliegendes Skript Das pflegerische Subjekt On Caring nehme ich inhaltlich Bezug zu jene destituierende Kraft, die im Bereich von Kirche und Diakonie Pflegepräsenz emblematisch in ein “esse in effectu” - bzw. “L’effet C’es moi” figuriert. 

Ich vertrete die Auffassung, dass unser Auftritt anders werden muss, wenn wir Veränderungen zum Besseren bewirken wollen. Mutatis mutamur: “Als solche, die verändert wurden, verändern wir uns selbst bzw. ändern wir uns an ihnen.”

Kommen Veränderungen (Metabletica) nicht zustande deformiert Unterstützungsbedarf zu verabreichte “Kröten” und verkommt Diakonie zur überflüssigen und sinnloser Zeitvertreib. 

Mir ist klar, dass Ihre Stellung alles andere als Einfach geworden ist. Diakonie leiten und führen war noch nie einfach. Weder zu Bodelschwings Zeiten noch zu Zeiten der Herren Herbert Ebenau und Gerhard Holtz, mit denen Sie zusammen die Geschicke der Diakonie gekonnt rings um der Markuskirche i neu und spannend wie ein Monopoly-spiel arrangierten.  



Aktuell positionieren Sie sich wie ein König auf dem Schachfeld: Sie herrschen aber regieren nicht. Sie können es schlichtweg nicht - denn das Schachspiel unterliegt ihre eigene Regel. Die Regeln bestimmen das Spiel - nicht die Figuren.



Beispielsweise Haus Abendfrieden: Der Pflegekraft figuriert als Bauer; Herr Bergmann als Läufer, Frau Radtke als Königin, Frau Rimbach als Turm und die Leitungskräften springen so hin und her wie Springer es eben so tun: mit Rösselsprünge von hier nach da. Da laufen viele Automatismen und Routinen. Hurra - das entspannt; Strukturen und Methoden sind an sich nicht übel. Allerdings ein fixierte Blick auf nur nützliche, zweckmäßige Standards verschleiert den Umstand, dass geschicktes parieren nirgendwo oder irgendwie regieren bedeutet. Es produziert Erfolgsleere².

Wenn Sie ins Spiel kommen - ja dann haben sie eine Mächtigkeit - deren Handlungsradius allerdings oft bemisst anhand einen Standpunkt nahe Null. 

Das Spiel bestimmt Ihre Position - das ist Ihre Größe und Tragik. 

Sie herrschen ohne regieren zu können. Etwas anders, aber in der Art gleich, wie schon von Paul Gerhard seinerzeit betonte: sitzt der HERR im Regimente bist Du es nicht, der alles machen soll - ER führet alles wohl sodass Du Dich wundern wirst: Er führt es herrlich hinaus.

Bleiben wir beim Barock: Agamben legt ein weitere Aspekt offen: in der Ikonographie bei der Kreuzabnahme Christi:



Bei der Kreuzabnahme ist alle Herrlichkeit und Königtum unseres Heilandes vollständig abgelegt. Glanz durch seine Wunder und Respekt durch Person und Habitus, die ihm sogar noch am Kreuz zukam, war durch die erlittene Passion vernichtet - aber es ist gerade diese vollzogene Restitution seines Königtums, dass das neue Zeitalter der erlösten Menschheit einläutete.

Alle Lebewesen existieren in einer Lebensform, aber nicht alle sind (oder sind es [als pflegerisches Subjekt - MMW immer) ein Lebens-Form. 

Mit der Konstitutionierung des pflegerischen Subjekt, der immer wieder aufs Neue in seiner Ausnahmesituation erlebt, dass sein bisherige horizontal verlaufenden Lebens-Form ebenso radikal wie diagonal durchquert, geht die Destituierung und Unwirksammachung aller einzelnen Lebensformen einher. 

Erst indem das pflegerische Subjekt sein neuer Lebens-Form akzeptiert und ausgestaltet konstituiert sich eine Lebensform, als jedem Leben innewohnende Untätigkeit. Die Konstituierung des pflegerischen Subjekt als Prosument koinzidiert vollständig mit der Destitutionierung der sozialen und biologischen Bedingungen, in die sie sich geworfen sieht. (S.461). 

Sich herausgedrängt wissen aus ein aktives Leben und als reflektierende Praktiker innewerden, was überhaupt Sache bei der Sache ist, das gehört zu den Grundbedingungen originäre Kunst; diese besondere Werklosigkeit macht genauso disponibel für Politik wie für Pflege als Ausdruck einer Biopolitik; diese vita kontemplativa ist geradezu axiomatisch - nicht nur im Foucaultsche Sinne - für Wahrsein und Wahrheit - für Parrhesia im Pflegesektor.

Pflege, Politik, und Kunst sind weder Aufgaben noch schlicht <Werke>: Sie benennen vielmehr die Dimension, in der die sprachlichen und körperlichen, materiellen und immateriellen, biologischen und sozialen Vorgänge außer Kraft gesetzt und als solche betrachtet werden, um die in ihnen eingeschlossene Untätigkeit zu befreien. 

Eben darin besteht, dem Philosophen zufolge, das höchste Gut, auf das der Mensch hoffen kann: “Die Lust, die entsteht, wenn der Mensch sich selbst und sein Tätigkeitsvermögen betrachtet” (ebenda, S. 462) 

Wie angemerkt ein unverhofftes wiedersehen im Bannkreis der Diakonie nach 20 Jahren. Inmitten 24 Gottesdienstbesucher in der Markuskirche waren Sie der strahlende Held. Ein Held, der sich einmal mehr positiv auf den Unternehmensmonitor profiliert; gehört doch die Diakonie zu den big player im Gesundheitsindustrie - die seinerseits Deutschlands größte Arbeitgeber ist.

Jahrelange Abwesenheit macht Sinn. Außer Frau Ebenau [war am 20. 09.2020 auch da] sieht man seit Jahren Niemandaus dem Sektor Diakonie bzw. deren Seniorenheim [Haus Abendfrieden] in die Kirche - warum auch? Sogar die Pastoren in der Markus- und Christuskirche bleiben demonstrativ fast ausnahmslos die Gottesdienste fern.

Warum sollten Sie denn “unter dem Wort, mit dem Wort und durch das Wort”  ihren Weg gehen? Sie könnten als Ultraorthodox vermaledeit werden.

Die Kollekte zu Gunsten der Diakonie erbrachte am 13. Sept. gute € 5,00; deutlicher lässt sich deren Stellenwert kaum beziffern; Diakonie und Kirche sind Parallelwelten und im Grunde genommen: wertlos.

Eine stattliche Diakoniekollekte steht symbolisch für Opferbereitschaft; deren karge Ausbeute im Klingelbeutel dagegen steht schlichtweg für erbärmliche Bedeutungslosigkeit trotz diverse fromm geformte Protz- und Trutzbauten hier und dort. 



Werden wir uns nach 20 Jahren erneut sehen? Dann mit verbessertem Terrain in Kirche und Diakonie?




Gemeinsam zurückblickend auf unserem Exodus nach gesegnete 40 jährige Wüstenwanderung und Pilgrims-Reise?

Dankbar staunend über eine goldene Ernte unseres vollendeten Lebens?

  • Trump will mit 74 durchstarten,

  • Mose begann mit 80,

  • Giuseppe Paternò ist mit 96 Jhr. Italiens ältester Student und

  • Hans-Georg Gadamer schrieb mit 102 noch frische Artikel

Man (-) darf gespannt sein.

In Christus verbunden Ihr 

Marten Wiersma



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen